Wir müssen Bewusstsein schaffen. Markus Benz im Interview mit nomad
nomad – das Magazin für neue Designkultur, Business Affairs & Contemporary Lifestyle – setzt sich in jeder Ausgabe mit visionären Köpfen und Machern aus Design, Architektur, Kunst oder Wirtschaft zusammen. Anlässlich seines 60. Geburtstags lud die Redaktion Walter Knoll CEO Markus Benz zum Gespräch, wie er die nachhaltige Zukunft der Möbelbranche sieht.
Eine neue Perspektive auf Design
nomad versucht als Magazin der A&D Community neue Positionen einzunehmen und die Perspektive auf Design als etwas Extraordinärem hin zu etwas, das natürliche Wertschätzung in unserem Alltag erfährt, zu verändern. Welche Auswirkungen und Potenziale hat die Designkultur auf den Einzelnen und die Gesellschaft? Auf inspirierende Weise gelingt es der Redaktion Design-, Sozial- und Lifestyle-Themen mit Fragen der Zukunftsgestaltung zu konfrontieren.
Markus Benz im Gespräch mit Oliver Herwig
Fotos: Oliver Spies
nomad: Sie sind seit 2019 ISO 14001 zertifiziert. Wenn man sich das Verfahren etwas genauer anschaut, sind so ziemlich alle Bereiche davon betroffen. Was heißt das für Sie konkret im Unternehmen?
Markus Benz: Sie fragen sehr technisch. Allgemein geht es doch um das Selbstverständnis, dass wir eine geprüfte Qualität – in diesem Fall: eine geprüfte Nachhaltigkeit – leben. Es handelt sich ja nicht um eine einmalige Zertifizierung, sondern um ein andauerndes Projekt. Immer neue Projekte treiben die Nachhaltigkeit weiter. Das ist der Grund, warum wir uns überhaupt mit der Zertifizierung befasst haben.
nomad: Das heißt, die Zertifizierung war kein Marketing-Schachzug ...
Markus Benz: Nein, sie ist gelebte Wirklichkeit. Als Familienunternehmer kann man nicht davonlaufen. Man steht da und ist immer greifbar. Das heißt, alles, was man tut, das muss man auch verantworten. Heute oder in 20 Jahren.
nomad: Gab es bei Ihnen eine Initialzündung hin zur Nachhaltigkeit?
Markus Benz: Wir waren schon immer nachhaltig und verantwortungsbewusst. Ich selbst bin seit 28 Jahren im Unternehmen, wichtig war für mich die Jahrtausendwende. Und mit ihr die Frage: Wie geht es jetzt eigentlich weiter? Man hatte vorher das Gefühl, dass alles höher und schneller sein musste. Und plötzlich gab es eine neue Farbe, die Farbe des neuen Millenniums. Und die war blau. Dieses Blau stand für saubere Luft und klares Wasser.
nomad: Ihre Folgerung daraus?
Markus Benz: Es wird eine neue Natürlichkeit geben. Die Menschen werden an einen Punkt kommen, an dem es ums Selbstverständnis geht: nicht um etwas Aufgesetztes, sondern ums Eigentliche, Wesentliche. Meine Kollektion war damit klar umrissen. Wir müssen Dinge tun, die natürlich sind und natürlich zelebriert werden. Massives Holz ist etwas Sinnvolles. Oder Lederhaut in ihrer natürlichen Erscheinung. Wir wollten Menschen das Gefühl für Ursprünglichem geben und für Schönheit: Es ging um „Natural Elegance“ und das zog sich Stück für Stück durch die ganze Kollektion. Wir entwickeln ja jedes Jahr nur wenige Produkte. Minimalismus war uns immer wichtig, wir haben aus wenigen Bestandteilen langlebige Produkte geschaffen. Das kann man sich nicht als Marketing-Schachzug ausdenken und schnell zertifizieren.
nomad: Zertifizierung heißt immer auch Standards überprüfen. Sie sind dem Klimapaket der deutschen Möbelindustrie beigetreten. Was haben Sie dafür konkret umgestellt?
Markus Benz: Eigentlich nichts. Wir haben ein relativ neues Gebäude mit den jeweils besten Standards. Und so hatten wir schon die besten Voraussetzungen – unsere Gebäude greifen weitgehend auf regenerativen Energien zurück. Dazu kommen Photovoltaik-Anlagen auf den Dächern, die uns auch in Zukunft helfen werden, einen großen Teil des eigenen Verbrauchs an Strom zu erzeugen.
Zudem haben wir das Glück, direkt am Bahnhof zu liegen, so dass die Menschen zu uns häufig per Bahn kommen. Und selbst nehme ich natürlich auch die Bahn als liebstes Transportmittel, auch wenn sie nicht immer ganz so pünktlich ist. Ist aber immer noch besser, als im Stau zu sitzen. So kann ich arbeiten und die Zeit sinnvoll nutzen.
nomad: Ihre Produkte zeigen eine Haltung, die Sie auch mit Ihrem Stammhaus an den Tag gelegt haben. Es geht um Qualität, um langlebige Investments und so wirken auch Sofas oder Sessel von Walter Knoll. Haben Sie Zahlen, wie lange Ihre Stücke daheim oder im Büro genutzt werden? Sie kriegen doch sicher Anfragen nach Stoffbezügen von 1963.
Markus Benz: In der Tat gibt es solche Geschichten. Manche sind sogar noch älter. Da kamen Anfragen für Sessel von 1937. Sie bräuchten jetzt einen neuen Stoff – eine schöne Geschichte. Wichtiger ist aber, dass Produkte ein zeitloses Design besitzen. Dann gefallen sie über die Zeiten hinweg. Wenn man ein Produkt hat, das einem nicht mehr gefällt oder das einfach zeitgebunden ist, wird das nichts.
nomad: Zeitlosigkeit als entscheidender Faktor der Nachhaltigkeit?
Markus Benz: Durchaus. Diese Zeitlosigkeit haben wir wirklich geschafft. Die Produkte werden weitergegeben. Erst sind sie Lebensbegleiter. Dann gehen sie von den Eltern zu den Kindern – oder es finden sich andere Abnehmer. 20, 30 Jahre sind überhaupt keine Seltenheit.
nomad: Meine Großmutter meinte, sie wäre zu arm, um billig zu kaufen. Augenblicklich herrscht die Devise: schnell kaufen, schnell verbrauchen. Können wir uns das in Zukunft überhaupt noch leisten? Müssten wir nicht insgesamt in Qualität investieren?
Markus Benz: Ich bin ganz mit Ihrer Großmutter, wir können den Weg des schnellen Konsums nicht länger gehen. Mit der Umwelt wurde uns etwas gegeben, um es zu schützen und weiterzugeben. Das kann nicht auf Verbrauch angelegt sein, sondern muss in der Sinnhaftigkeit des Tuns begründet werden. Gerade Möbel können mit Anstand und Würde altern. Das zeigt der Retro-Trend. Da bin ich lieber der Teil, der diesen Trend unterstützt, als der, der auf den schnellen Verbrauch zielt.
nomad: Leder wäre ein solches Produkt. Es altert, entwickelt Patina. Aber es gibt auch eine starke Bewegung dagegen, die sagt, das können wir uns gar nicht mehr leisten. Wie stehen Sie dazu?
Markus Benz: Leder gibt es, solange wir Fleisch konsumieren. Im Grunde ist Leder ja ein differenziertes Produkt. Kein Tier wird wegen seines Fells geschlachtet, sondern immer ausschließlich, weil es Fleisch gibt. Und in diesem Zusammenhang kann man Leder bedenkenlos auch in Zukunft brauchen. Es gehört zu den klassischen Materialien der Menschheit, die uns geschützt haben oder als Bezug für Möbel eingesetzt wurden.
nomad: Das sehen vegan lebende Menschen vielleicht anders.
Markus Benz: Mag sein, man kann Leder aber problemlos verwenden. Sicher gibt es noch etwas Verbesserungspotential. Aber das Tierwohl ist in Europa fast überall gewährleistet. Dort, wo es gute Kläranlagen gibt, wird auch das Grundwasser bei der Ledergerbung nicht zu sehr belastet. Also das sind philosophische Antworten. Ist jetzt der Elektroantrieb oder der Wasserstoff Antrieb richtig? Eigentlich geht es um diese Themen. Durch die Langlebigkeit des Leders ist es jedenfalls ein aus meiner Sicht immer noch zu akzeptierender Weg.
nomad: Wie lange funktioniert Nachhaltigkeit noch als Differenzierungsmerkmal? Sollte es in Zukunft nicht so sein, dass es selbstverständlich ist, egal, welchen Anbieter wir wählen?
Markus Benz: Naja, es hat ja auch etwas mit technischen Fähigkeiten zu tun. Minimalismus bedeutet eine hohe Kompetenz, Dinge zu reduzieren. Erstens muss es gut aussehen. Und zweitens muss es dann auch noch halten. Und genau dort braucht es große Anstrengungen, wie man Werkstoffe zusammenbringt. Wenn ich mich im Mittelmaß des Designs bewege, kann ich auch mit einfachen Konstrukten etwas bewegen. Wenn ich es aber auf Punkt bringen will, brauche ich schon ganz andere Vorstellungen, wie die Konstruktion zu bewältigen ist. Darin besteht für mich die eigentliche Kunst.
nomad: Also könnte man sagen: Vorsprung durch Design, um einen Slogan einer Automarke abzuwandeln.
Markus Benz: Das halte ich nach wie vor für einen zulässigen Ansatz, denn Nachhaltigkeit ist immer dann einfacher, wenn ich weniger Material brauche. Dann fängt es eigentlich an und wird sehr spannend.
nomad: Sie sind Vorstand des Meisterkreises, die Aufnahme ist sehr restriktiv. Da kommt nicht jedes Unternehmen rein. Was ich dabei vermisste, waren nachhaltige Prinzipien. Auch der Unternehmensführung. Ist das nicht ein bisschen überholt?
Markus Benz: Eigentlich wurde das nicht plakativ genug in den Vordergrund gestellt. All diese Firmen sind Marken, die schon sehr lange da sind und die ganz vorne sich positionieren müssen. Insofern war Nachhaltigkeit eigentlich nicht das entscheidende Kriterium, weil jede Marke ohne sie eigentlich nicht wirklich existieren kann. Nachhaltigkeit ist natürlich Voraussetzung, um als Marke überhaupt in Zukunft bestehen zu können.
nomad: Als familiengeführtes Unternehmen sind Sie dabei im Vorteil gegenüber einer AG, oder?
Markus Benz: Das ist auf jeden Fall so. Ich bin jetzt seit 28 Jahren als Vorstand tätig. Da kann man die Dinge beeinflussen. Das heißt öfter Nein-Sagen als Ja-Sagen und das dann umsetzen. Es hat mit Verantwortung zu tun, eine Sache oder eine Marke auszubilden. Das fällt dem Familienunternehmer vielleicht etwas leichter als jemanden, der im Wesentlichen an den Ergebnissen, dem Umsatz und Gewinn orientiert ist. Und das ist eigentlich das Schöne. Familienunternehmer können vieles nachhaltiger verfolgen. Dass auch wir Geld verdienen müssen, ist keine Frage. Ohne Geld können wir auch unsere heiligen Ziele nicht verfolgen.
nomad: Wenn man die Dreiheit von Nachhaltigkeit ansieht, gehört zur Wirtschaftlichkeit und der Ökologie auch die soziale Kompetenz. Sie zahlen in Deutschland Steuern, konkurrieren aber vielleicht irgendwann mit Unternehmen, die in Luxemburg beheimatet sind und Gewinne solange hin- und herschieben, bis nichts mehr zu versteuern ist. Was muss sich ändern?
Markus Benz: Verbraucher müssen Entscheidungen treffen. Staaten sind offensichtlich dazu nicht in der Lage oder dazu bereit. Über Gerechtigkeit könnten wir länger sprechen. Ein Vorstandskollege meinte mal, Gerechtigkeit sei für die Kirche, denn wie steht es mit der Steuergerechtigkeit? Es werden die ergriffen, die man ergreifen kann, in Deutschland die arbeitende Bevölkerung und Familienunternehmer, die nicht davonlaufen können. Und der Rest? Die Diskussion, ob die großen Konzerne Steuern zahlen oder nicht, hat bis jetzt außer Worthülsen nichts gebracht. Dabei ist es ziemlich dramatisch. Solange es die Politik nicht schafft, die Rahmenbedingungen anders zu setzen, bleibt es nur an den Verbrauchern, die Firmen zu unterstützen, denen man ansieht, dass sie hier gute Angebote schaffen.
nomad: Wird Cradle to Cradle ein Thema für Sie, dass Sie Produkte nur noch ausleihen und nach der Nutzung wieder zurücknehmen?
Markus Benz: Also, wenn man 60 internationale Vertretungen hat, dann frage ich mich, ob das der richtige Ansatz wäre. Aber dass Möbel neu bezogen und unkompliziert zerlegt und wieder neu zusammengesetzt werden, das schon. Da werden wir große Fortschritte erzielen. Die Konsummentalität muss verschwinden, denn nur mit langfristigen Konzepten können wir bestehen. Und dann gibt es schon viele Ansätze.
nomad: Wenn wir noch ein bisschen weiter in die Zukunft schauen, was wäre Ihr Idealbild, gerade auch in der Möbelbranche: Wie sieht Nachhaltigkeit in 20 Jahren aus?
Markus Benz: Neben der Konstruktion der Produkte müssen wir darauf achten, welche Art von Materialien wir einsetzen. Wenn ich durch Chrom Langlebigkeit nach vorne bringe – in Ordnung. Wenn es nur Dekoration ist, kann ich ohne Chrom auskommen. Will ich Produkte frei von Kunststoffoberflächen oder mit einem hohen Anteil an Naturfasern? So können wir uns Stück für Stück durchfragen. Es wird auch über Kunstleder diskutiert. Bisher ist es in der großen Fläche noch nicht darstellbar. Aber neue Wege müssen ja auch angenommen werden. Nachhaltigkeit wird eine zentrale Fragestellung. Wir versuchen durch die Mischung von neuem und recyceltem Kunststoff unsere Ziele Stück für Stück zu erreichen. Daher auch die ISO 14001 und das Klimapaket. Wir müssen Bewusstsein schaffen, egal was wir tun.
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